Ein Gespräch über das Magazin WORD. #3 – CARE
Am 05.05.20 um 15:15 schrieb Jörg Albrecht:
Ihr beiden, Ihr habt gemeinsam die Redaktion der neuen WORD.-Ausgabe innegehabt. Bevor wir in die Tiefe der Ausgabe gehen, möchte ich um ein subjektives Statement bitten, was Fürsorge für Euch bedeutet.
Am 06.05.2020 um 13:57 schrieb Lennart Lofink:
Lieber Jörg, danke für die Frage. Für mich hat Fürsorge viel mit Aufmerksamkeit zu tun. Einen Blick dafür zu haben, wann Hilfe benötigt wird. Das Umfeld wahrnehmen. Bedürfnisse erkennen. Bloß beobachten reicht allerdings nicht – eine Handlung muss folgen.
Am 07.05.20 um 11:04 schrieb Nefeli Kavouras:
Ich stimme da Lennart vollkommen zu. Auch für mich steht Aufmerksamkeit und Achtsamkeit im Fokus. Man muss erkennen: Wird Fürsorge benötigt? Wie kann ich helfen? Warum fühle ich mich fürsorglich, auch wenn das Gegenüber vielleicht meine Hilfe nicht möchte? Fürsorge ist für mich zusätzlich eine private, eigene Entscheidung. Ich entscheide mich dazu, für jemanden zu sorgen – das Risiko einzugehen, besorgt zu sein. Anders als »sorgen«/»besorgt sein« ist Fürsorge für mich trotzdem weitgehend positiv konnotiert. Es impliziert eine fast schon zarte Form des Helfens und richtet sich an alle Altersklassen. Niemand kann sich dem eigentlich wirklich entziehen, was ich auch gut finde. Es ist ein Meilenstein der Menschlichkeit.
Am 07.05.20 um 13:30 schrieb Jörg Albrecht:
Okay, wir kommen da später noch mal drauf zurück, weil mich schon interessiert, wie Ihr Fürsorge nun im größeren, also strukturellen Rahmen seht. Aber vielleicht erstmal der Anlass unserer Unterhaltung: Ihr habt gemeinsam die dritte Ausgabe des WORD.-Magazins zu diesem Thema redaktionell betreut – und Du auch gestalterisch, Lennart. Bitte erzählt doch kurz, wie es zu dieser Ausgabe kam – und zum Magazin überhaupt. Lennart, Du merkst, das ist eine Steilvorlage für Dich …
Am 12.05.20 um 13:15 schrieb Lennart Lofink:
Haha, ja das stimmt. Die Ausgabe #1 erschien im Februar 2019 als Abschlussarbeit meines Designstudiums. Zu dem Zeitpunkt habe ich bereits für das CfL gearbeitet und es lag nahe, meine Leidenschaft für Gestaltung und die Fähigkeiten, die ich im Studium erlernt hatte mit der inhaltlichen Arbeit des CfL zu verbinden. Ein ans CfL angeknüpftes Magazin als Abschlussarbeit – etwas besseres konnte mir eigentlich nicht passieren.
Als Thema für die erste Ausgabe wählte ich damals den Jahresschwerpunkt »Anbauen« zu Ökologie und Bauen und hangelte mich an eingeladenen Künstler*innen und Expert*innen entlang, fragte Beiträge an, kontaktierte Verlage, interviewte Künstler*innen, Autor*innen schrieben Texte und Illustrator*innen fertigten Zeichnungen und Collagen an. Aus dem ganzen Material gestaltete ich ein Heft, ließ es in kleiner Auflage produzieren, schloss damit mein Studium erfolgreich ab und setzte mich wenig später an Ausgabe #2. Jetzt ist die #3 frisch aus dem Druck. So kann es gehen … Das Besondere an #3 ist die Finanzierung. Während #1 und #2 so gut wie aus meiner eigenen Tasche finanziert worden sind, ist die Dritte offiziell ein Projekt des Center for Literature. Das bedeutet, dass dort eine Förderung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW greift, die die Entwicklung des Hefts finanziert. Das hat unter anderem den schönen Nebeneffekt, dass ich nicht mehr alleine bin: Nefeli hat mich in der Redaktion unterstützt, lektorierte Beiträge und – ebenfalls neu – wir leiteten gemeinsam einen Workshop an der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM), in dem es darum ging, das Thema CARE zu diskutieren, Geschriebenes in der Gruppe zu besprechen und herauszufinden, wie Beiträge für ein Magazin entstehen. Die KHM ist nämlich ebenfalls ein Kooperationspartner in diesem Projekt.
Am 12.05.2020 um 14:26 schrieb Jörg Albrecht:
Dann interessiert mich als Nächstes natürlich, wie genau Du, Nefeli, die redaktionelle Arbeit erlebt hast, die ja – wenn sie gut gemacht ist –, im Lektorat, in der Anbahnung mit Autor*innen, dann im Korrekturprozess einer Druckfahne auch sehr viel von Fürsorge hat.
Am 18.05.2020 um 16:53 schrieb Nefeli Kavouras:
Ich war ja von Anfang an ein Fan vom WORD.-Magazin und dementsprechend war es in erster Linie eine total erfreuliche Arbeit. Schon zu wissen, dass ich Teil eines so coolen Magazins sein durfte, machte, dass ich unentwegt voller Vorfreude war. Und natürlich stimmt es, dass die redaktionelle Arbeit eng mit Fürsorge verknüpft ist. Ich fand es sehr spannend, mit manchen Autor*innen über die Texte zu reden, Anmerkungen anzubieten, und vor allem die Texte dann in der Entwicklung zu sehen. Das ist ja auch ein großer Vertrauensakt und da war ich dankbar, dass das bei allen so gut klappte. Vertrauen und Fürsorge liegen ja auch nah beinander. Es war auch spannend durch die Textarbeit die Autor*innen kennenzulernen und dabei auch die Gradlinie zu treffen, zwischen Höflichkeit und »Ich glaube, es tut dem Text gut, wenn …« Mit manchen hatte ich zuvor nie Kontakt und da war ich natürlich umso gespannter. Und jetzt hoffe ich natürlich, dass das Heft den Autor*innen, aber auch anderen Menschen gefällt. Ich fühl mich noch immer fürsorglich und verantwortlich und möchte, dass das Magazin in gute Hände gerät.
Am 18.05.20 um 17:06 schrieb Jörg Albrecht:
Könnt Ihr einmal kurz skizzieren, auf welchen Ebenen das Heft den Themenkomplex der Fürsorge behandelt?
Am 20.05.20 um 12:24 schrieb Lennart Lofink:
Wir haben uns vor allem auf die zwischenmenschliche Ebene fokussiert. Überall dort, wo Menschen sich um andere oder auch um sich selbst sorgen und kümmern. Ich habe zum Beispiel ein Interview mit dem Arzt und Rote-Kreuz-Reservist Prof. Dr. Joachim Gardemann geführt, der über das Selbstverständnis des Helfens und die Arbeit der humanitären Nothilfe spricht, es gibt einen Beitrag der Schriftstellerin Lisa Krusche, in der die Protagonistin über die Krebsdiagnose ihres Freundes Paul spricht und sich selbst als auch Lesende auf sehr ehrliche und fast brutale Art mit den Höhen und Tiefen des Alltags konfrontiert, wir haben kurze Gedichte der Dichterin Lütfiye Güzel bekommen, die mit Humor, Zynismus und Präzision in ganz wenigen Zeichen einen riesigen Kosmos aufmachen und dabei sehr klar aufzeigen, wo in unserer Gesellschaft fürsorgliches Handeln – auch uns selbst gegenüber – vermisst wird. Stef Mosebach hat sich für uns mit dem Titel auseinandergesetzt und die beiden Hände gezeichnet. Es ist sehr spannend zu sehen wie Menschen in den sozialen Medien dieses Motiv aufgreifen und das Heft mit der eigenen aufgelegten Hand fotografieren – als physische Interaktion in Zeiten von social distancing.
Und um nochmal von der Seite der Gestaltung zu sprechen: Ich selbst frage mich bei jedem Beitrag wie die Gestaltung sein muss, um den Inhalt zu transportieren (übrigens nicht nur bei diesem Thema). So spielt zum Beispiel die Gestaltung des Beitrags von Lisa Krusche mit der sehr transparenten Darstellung ihrer Gefühle. Die Gestaltung zeigt ihr sonst verborgenes Raster: Das Innere wird nach außen gekehrt. Es finden sich außerdem über das Heft verteilt immer wieder Linien und statische Elemente, die eine Form von angestrebter Sicherheit widerspiegeln sollen. Eine Sicherheit, die von Sorgen – in diesem Fall durch Verläufe und dynamische Linien – durchbrochen wird.
Am 20.05.20 um 13:20 schrieb Nefeli Kavouras:
Es geht aber zusätzlich auch um die Abwesenheit von Fürsorge. So haben wir zum Beispiel bei Andreas Moster einen Protagonisten, der zwar Fürsorge in der Praxis ausübt, aber dabei gar nicht fürsorglich ist. Wir haben Jul Gordons Zeichnungen, die eher zynisch und schon fast kalt Menschen abbilden. Wir haben Sean Kellers Text UND, in dem ganze Leben kurz skizziert werden, abstrakt und trotzdem präzise und zugleich sehnt man sich dort nach fürsorglichen Gesten. Bei diesen Texten wünscht man den einzelnen Charakteren, dass ihnen Fürsorge widerfährt, oder dass sie sogar selbst fürsorglich fühlen.
Wir haben aber auch mit Carolin Emckes Textauszug und Ghayath Almadhouns Gedichten Einblicke aus Krisensituationen. Ebenso auch Esther Dischereits Textauszug aus Blumen für Otello. Wir fragen uns: Wie ist im Extremen überhaupt Fürsorge möglich? Ist sie da überhaupt möglich? Natürlich geben die Texte alle keine klaren Antworten, aber sie bilden Realitätswelten ab und transportieren dabei Möglichkeiten für fürsorgliches Denken.
Es gibt aber auch theoretische Einblicke auf das Thema. So gehen Rick Reuther und auch Enis Maci eher analysierend auf das Konstrukt von Fürsorge ein. Und es gibt auch die Fakten, Care in Zahlen, illustriert von Hanna Harms, die abbilden, wie es denn mit den Zahlen rund um Care-Arbeit in Deutschland aktuell aussieht.
Es ist ja immer das Gleiche – es gibt ein Thema, in dem Fall Fürsorge, und man bekommt so viel Unterschiedliches geboten. Das macht wirklich Freude.
Am 20.05.20 um 16:35 schrieb Jörg Albrecht:
Das Spektrum der Beiträge ist tatsächlich sehr breit. Dann noch eine letzte Frage, die natürlich ins rein Spekulative geht. Jetzt steht Care-Arbeit auf einmal im Fokus und Gesundheit ist nicht mehr selbstverständlich. Wie seht Ihr in diesem Kontext die Möglichkeiten von Sprache? Kann sie Abwesenheit von Fürsorge darstellen und doch selber fürsorgend sein?
Am 22.05.20 um 11:41 schrieb Lennart Lofink:
Eine schwierige Frage und weiß auch nicht, ob ich eine Antwort darauf habe. Sprache ist und kann so vieles sein. Das gesprochene Wort, Schrift, Gebärden … Es sind in diesen Zeiten die Nachrichten, die Posts bei Twitter, die mit Kreide geschriebenen Geburtstagswünsche, die Gespräche vom Balkon im Senior*innenheim, der Videochat mit der Psychologin. Sprache kann Trost spenden oder verletzen, die Einsamkeit durchbrechen oder diese aufzeigen, beruhigen oder Angst schüren. Gleichzeitig könnte Sprache dann begrenzt sein, wenn eine wirkliche (fürsorgliche) Handlung erforderlich ist: »Adorno trocknet diesen Teller nicht für dich ab«, um es mit den Worten von Rick Reuther zu sagen.
Am 22.05.20 um 13:50 schrieb Nefeli Kavouras:
Die Vorstellung, dass Sprache schon alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben könnte, finde ich traurig. Es ist also gut, dass es noch immer neue Grenzen gibt, die erfasst und erspürt werden können, die dann auch mit den aktuellen Ereignissen spielen. Sprache ist auch nicht da, um fertige Antworten zu liefern. Das ist nicht meine Erwartungshaltung. Aber sie kann im Gesprochenen und im Nichtausgesprochenen alle Emotionen bedienen. Auch Fürsorge und die Abwesenheit dessen. Und ich gebe da Lennart völlig recht. Es ist ein Gewinn, dass wir in diesen seltsamen Zeiten Sprache als Trost nutzen können. Und zwar über jegliche Grenzen hinweggesetzt.
Die Entwicklung des WORD.-Magazins wird gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW. In Kooperation mit der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM). Das Release wurde in Kooperation mit dem Atelier Die Baustelle und den Siebdruckninjas entwickelt.